Der Schriftsteller Siegfried Lenz hat 2014 eine Stiftung ins Leben gerufen, zu deren vornehmsten Aufgaben es gehört, einen Siegfried Lenz Preis zu vergeben. Der Preis wird alle zwei Jahre verliehen und ist mit 50.000 Euro dotiert.
Am Freitag, 19. März 2021, rund um den 95. Geburtstag von Siegfried Lenz, erhielt die russische Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja den Siegfried Lenz Preis 2020.
Der Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg Dr. Peter Tschentscher sagt in seinem Grußwort: Ljudmila Ulitzkaja „gilt heute international als russische Stimme der Vernunft. Ihre Bücher werden fast überall auf der Welt gelesen. Sie erzählen von Menschlichkeit und Toleranz – ganz im Sinne von Siegfried Lenz.“
Die Literaturkritikerin Sigrid Löffler lobt die Preisträgerin: „Ljudmila Ulitzkaja ist eine der führenden Intellektuellen im heutigen Russland, eine literarische Stimme, die weltweit gehört wird und die Erinnerung an Leiden und Widerstand der Russen im «Jahrhundert der Wölfe» lebendig erhält, und sie ist eine moralische Instanz, die gegen Putins neostalinistischen und nationalistischen Kurs immer wieder auf Konfrontationskurs geht. … Dass ihr nun der Hamburger Siegfried Lenz Preis verliehen wird, ist nur würdig und recht.“
Für Ljudmila Ulitzkaja „ist der heutige Tag, an dem mir ein Preis verliehen wird, der den Namen des herausragenden deutschen Schriftstellers Siegfried Lenz trägt, eine besondere Freude. Ich empfinde es als große Ehre, diesem Autor von europäischem Rang dadurch verbunden zu sein. Seine Bücher werden weltweit geschätzt, und in Russland treffen sie einen besonderen Nerv: Die Themen, die Siegfried Lenz am meisten beschäftigten, spielten und spielen in Russland immer eine große Rolle – insbesondere das Ringen um künstlerische und persönliche Freiheit in totalitären Systemen, die auf bedingungslosem Gehorsam, Angst und Einschüchterung basieren.“
Die Preisverleihung sowie ein Gespräch mit der Preisträgerin wird am Sonntag, 21. März 2021 um 20 Uhr im Sonntagsstudio von NDR Kultur gesendet.
Schauspielerin Katharina Abt liest ausgewählte Passagen aus Ulitzkajas Werken.
Siegfried Lenz Preis
Mit dem Siegfried Lenz Preis sollen internationale Schriftstellerinnen und Schriftsteller ausgezeichnet werden, die mit ihrem erzählerischen Werk Anerkennung erlangt haben und deren schöpferisches Wirken dem Geist von Siegfried Lenz nah ist.
Die Siegfried Lenz Stiftung hat zur Vergabe eine Jury berufen.
Ihre Mitglieder sind:
- Günter Berg, Vorstand der Siegfried Lenz Stiftung, Hamburg
- Ulrich Greiner, Präsident der Freien Akademie der Künste, Hamburg
- Prof. Dr. Rainer Moritz, Leiter des Literaturhauses, Hamburg
- Annegret Schult, Buchhandlung Felix Jud, Hamburg
- Monique Schwitter, Autorin und Mitglied der Freien Akademie der Künste, Hamburg
Die Siegfried Lenz Stiftung begründet ihre Wahl der Preisträgerin: „Ihre Romane und Erzählungen spiegeln die Tragödie des 20. Jahrhunderts, die Epoche der Gewaltherrschaft und des Genozids. Die vielfältigen und vielschichtigen Figuren ihrer erzählerischen Welt kämpfen ums Durchkommen, ums Überleben. Manche glauben an Gott, andere an sich selbst, und alle hoffen sie auf Menschlichkeit. Ulitzkaja entwickelt aus diesen Schicksalen ein grandioses Gewebe, das Gegenwart und Vergangenheit miteinander verbindet, das Religiöse mit dem Politischen, das Gesellschaftliche mit dem Persönlichen. Ihre weit gespannte Erzählkunst ist multiperspektivisch, sie bezieht reale und fiktive Dokumente ebenso ein wie ihre jüdische Herkunft. Ljudmila Ulitzkajas Bücher sind ermutigende Aufrufe für eine demokratische Zukunft ihres Heimatlandes.“
Die bisherigen Preisträger des mit 50.000 Euro dotierten Siegfried Lenz Preises, waren der Israeli Amos Oz, der Engländer Julian Barnes und der Amerikaner Richard Ford. Für Siegfried Lenz war nicht allein die anglophone Welt von Bedeutung, sondern auch die Welt seiner ostpreußischen Herkunft. Auch deshalb hat die Jury sich dafür entschieden, diesmal eine Autorin aus dem osteuropäischen Kulturraum auszuzeichnen.
Ljudmila Ulitzkaja
Ljudmila Ulitzkaja, 1943 geboren, wuchs in Moskau auf und ist eine der wichtigsten zeitgenössischen Schriftstellerinnen Russlands. Sie schreibt Drehbücher, Hörspiele, Theaterstücke und erzählende Prosa. Auf Deutsch erschienen u.a. im Verlag Volk & Welt, Berlin, Sonetschka: Eine Erzählung (1992), Medea und ihre Kinder (Roman 1997), Ein fröhliches Begräbnis (Roman 1998), Reise in den siebenten Himmel (Roman 2001).
Im Carl Hanser Verlag, München, erschienen Die Lügen der Frauen (Erzählungen 2003), das Kinderbuch Ein glücklicher Zufall (2005), Ergebenst, euer Schurik (Roman 2005), Maschas Glück (Erzählungen 2007), Daniel Stein (Roman 2009), Das grüne Zelt (Roman 2012), Die Kehrseite des Himmels (2015) und Jakobsleiter (Roman 2017).
Alle Werke der Autorin wurden von Ganna-Maria Braungardt aus dem Russischen ins Deutsche übertragen. 2008 erhielt Ljudmila Ulitzkaja den Aleksandr-Men-Preis für die interkulturelle Vermittlung zwischen Russland und Deutschland, 2014 den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur.
Siegfried Lenz
Siegfried Lenz (1926 – 2014) zählt zu den größten Schriftstellern deutscher Sprache. Sein Werk ist in mehr als 30 Sprachen übersetzt. Für sein 14 Romane, zahlreiche Novellen, Hörspiele und Dramen umfassendes Werk wurde er mit bedeutenden Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Goethepreis der Stadt Frankfurt am Main, dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und mit dem Lew-Kopelew-Preis für Frieden und Menschenrechte.
Siegfried Lenz lebte seit 1951 in Hamburg und veröffentlichte seine Bücher von Beginn an im Hoffmann und Campe Verlag. Er verstarb am 7. Oktober 2014 im Alter von 88 Jahren. Zuletzt erschienen Der Überläufer (2016), sein Amerikanisches Tagebuch (2012), Die Maske (2011), Landesbühne (2009) und Schweigeminute (2008). Zahlreiche seiner Bücher wurden verfilmt. Zuletzt lief Der Überläufer erfolgreich im deutschen Fernsehen.