Der vom Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport vergebene Preis geht dieses Jahr an die polnische Autorin Joanna Bator.

„Joanna Bator erzählt in ihren umfangreichen Büchern hunderte kleine Geschichten, die kunstvoll zu wunderbaren Romanen verflochten werden und uns Leser:innen vom ersten Satz an in eine oftmals fremd wirkende Welt, die einem aber nach einigen Seiten schon vertraut ist, ziehen. Dort lebt man dann gemeinsam mit den Figuren der Romane, die so wirklich erscheinen, dass man sich kaum wundern würde, wenn sie an der Tür klingeln. Aber die meisten dieser Romanfiguren sind festgezurrt in ihren Städten und Dörfern, aus denen sie sich zwar hinaussehnen, jedoch nicht hinauskommen. Aber selbst dort, an der Peripherie, erwischt sie die Geschichte mit ihren Kriegen, Vertreibungen, Umstürzen, Ideologien, System- und politischen Wechseln. Und so wird das Fremd-in-der-Welt-Sein zu einem Charakteristikum der Batorschen Frauenfiguren, die aber eines nicht tun: aufgeben. Denn sie sind solidarisch untereinander, und sie haben Träume. Auch wenn diese manchmal aus Telenovelas oder der Heftchenliteratur stammen, so künden sie doch von einem anderen, besseren Leben und halten die Sehnsucht nach Glück aufrecht. Mit freundlicher Ironie begegnet Joanna Bator ihren Figuren und lässt am Rand der Welt immer wieder auch die ,große‘ Geschichte aufblitzen, die das Leben von heute auf morgen verändert. Joanna Bator hat ihre Geburtsstadt Wa?brzych, aus der sie mit 19 Jahren nach Tokio, New York, Berlin und London aufgebrochen ist, auf der Landkarte der Weltliteratur eingeschrieben und den widerständigen Frauen aus Wa?brzych einen Platz im Gedächtnis der Leser:innen gesichert“, gratuliert Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer und hebt in diesem Zusammenhang auch die besondere Bedeutung der Übersetzer:innen hervor, ohne die es keine europäische Literatur, ohne die es keine Weltliteratur geben würde: „Denn dass wir Joanna Bators Literatur auf Deutsch lesen können, verdanken wir ihren großartigen Übersetzerinnen Lisa Palmes und Esther Kinsky.“

Die Jurybegründung:

„Geboren in der niederschlesischen Stadt Wa?brzych/Waldenburg, aus der die deutsche Bevölkerung ab 1945 vertrieben wurde, nimmt Joanna Bator in ihren Werken mehrfach Bezug auf die Gewaltgeschichte des Zweiten Weltkriegs, welche die Beziehungen zwischen Europa und Polen bis heute prägt. In vielschichtigen Erzählungen, in deren Zentrum meist weibliche Figuren stehen, verarbeitet Bator traumatische Erfahrungen des letzten Jahrhunderts. Sie lädt belastete Orte literarisch auf, gibt den Dargestellten Raum und Stimme, bringt sie Lesenden nahe und verbindet eindrucksvoll Vergangenes mit gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Realitäten. Dabei verfährt sie nie lehrhaft, sondern beobachtungsgenau, sprachlich versiert, spielerisch, voller Fantasie und Witz. Zudem meldet sich die Autorin in Essays, Artikeln, Kolumnen u.a. für Tygodnik Powszechny, National Geographic und Voyage zu Wort, tritt gegen fundamentalistische Zwänge auf, denen besonders Frauen und queere Menschen in rückwärtsgerichteten Regimen ausgesetzt sind. Joanna Bator lehrte an Hochschulen in Warschau, New York, London, Tokio, hält Poetikvorlesungen, hatte die Gastprofessur für Weltliteratur in Bern inne, wo sie über Heterotopien, das Unheimliche und Außenseiter, auch in der japanischen Kultur dozierte. Mit ihren literarischen Werken erzählt Joanna Bator große mitteleuropäische Geschichte aus weiblicher Perspektive.“

Die fünfköpfige Jury für den Preis 2024 bestand aus Dr. Bernhard Fetz, Benedikt Föger, Walter Grond, Mag.a Claudia Romeder und Dr.in Sabine Scholl.

Über Joanna Bator

Joanna Bator, 1968 geboren, publizierte in wichtigen polnischen Zeitungen und Zeitschriften und forschte mehrere Jahre lang in Japan. Die deutsche Übersetzung ihres Romans Sandberg durch Esther Kinsky war ein literarisches Ereignis. Seither gilt Joanna Bator als eine der wichtigsten neuen Stimmen der europäischen Literatur. Für Dunkel, fast Nacht (2012) wurde sie mit dem NIKE, dem wichtigsten Literaturpreis Polens, ausgezeichnet. Joanna Bator ist Hochschuldozentin und lebt in Japan und Polen.

Publikationen in deutscher Übersetzung: „Bitternis“, Frankfurt 2023. Aus dem Polnischen von Lisa Palmes , „Dunkel, fast Nacht“, Frankfurt 2021. Aus dem Polnischen von Lisa Palmes, „Wolkenfern“, Frankfurt 2014. Aus dem Polnischen von Esther Kinsky, „Sandberg“, Frankfurt 2014. Aus dem Polnischen von Esther Kinsky

Preise: Samuel-Bogumi?-Linde-Preis 2022, Eichendorff-Literaturpreis 2022, Internationaler Hermann-Hesse-Preis 2018, Usedomer Literaturpreis 2017, Internationaler Stefan-Heym-Preis der Stadt Chemnitz 2017, Internationaler Literaturpreis – Haus der Kulturen der Welt 2016 (Shortlist), Spycher: Literaturpreis Leuk 2014, Nike-Preis 2013, Internationaler Literaturpreis – Haus der Kulturen der Welt 2011 (Shortlist)

Österreichischer Staatspreis für Europäische Literatur

Der Österreichische Staatspreis für Europäische Literatur wird seit 1965 für das literarische Gesamtwerk einer europäischen Autorin bzw. eines europäischen Autors verliehen, das international besondere Beachtung gefunden hat, was durch Übersetzungen dokumentiert sein muss. Das Werk muss auch in deutschsprachiger Übersetzung vorliegen. Der Preis ist mit € 25.000 dotiert. Die Preisverleihung durch Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer findet am 27. Juli 2024 im Rahmen eines Festaktes während der Salzburger Festspiele statt.

Zuletzt ging der Preis an Mircea C?rt?rescu, Andrzej Stasiuk, Karl Ove Knausgård, Zadie Smith, Michel Houellebecq, Drago Jan?ar, László Krasznahorkai, Ali Smith und Marie NDiaye.

 

Presseaussendung Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport / Red.